Automatische Emotionserkennung im Hundegesicht: Geräuschangst mit künstlicher Intelligenz erkennen
- PD Dr. Stefanie Riemer

- 9. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Sept.

Emotionen sind zentral für das Tierwohl. Wir können nicht in andere Lebewesen hineinschauen – doch wir können versuchen, Rückschlüsse darauf zu ziehen, was Tiere empfinden, indem wir Verhalten, Lautäußerungen und vor allem das Ausdrucksverhalten beobachten. Insbesondere Gesichtsausdrücke können Hinweise auf Stress, Angst oder Freude geben.
Emotionale Gesichtsausdrücke automatisch auswerten
Auch die künstliche Intelligenz wird immer weiter entwickelt, um Gesichtsausdrücke von Hunden auszuwerten und emotionalen Zuständen zuzuordnen. Eine vielversprechende Methode basiert auf sogenannten Landmarks – anatomisch definierten Punkte im Gesicht, deren relative Position zueinander sich bei Gesichtsausdrücken verändert und so Emotionen widerspiegelt.

Bisher war es für Studien mit Hunden notwendig, Landmarks auf Videos in mühseliger Handarbeit zu kennzeichnen. Dem Computerwissenschaftler George Martvel von der Universität Haifa ist es kürzlich gelungen, einen Algorithmus zu entwickeln, der Landmarks im Hundegesicht automatisch erkennt – und das sogar rasseübergreifend. Dies stellt bei Hunden aufgrund ihrer enormen Rassenvielfalt – vom Mops bis zum Bernhardiner – eine besondere Herausforderung dar. Im Bild seht ihr die verwendeten Landmarks, welche die Form der Ohrbasis, Augenbrauen, Augen, und Maulregion beschreiben.
Erkennt KI Angst im Hundegesicht?
In einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift Scientific Reports haben George und ich erstmals untersucht, ob das System auch bei Hunden in ihrer „natürlichen Umwelt“ statt in einer kontrollierten Laborsituation funktioniert. Würden solche automatisch gemessenen Veränderungen im Hundegesicht Rückschlüsse auf mögliche Emotionen erlauben? Grundlage waren Videos aus einer früheren Citizen Science Studie (Gähwiler et al. 2021), in der Freiwillige ihre Hunde während Feuerwerken in der Silvesternacht und an einem ruhigeren Abend filmten. So erhielten wir Videos von echter Angst bei Hunden, ohne dass die Hunde unnötig in eine angstauslösende Situation gebracht wurden.
Die Auswertung stellte die KI vor einige Herausforderungen: die Heimvideos wiesen große Unterschiede in Qualität, Winkel und Beleuchtung auf; manche Hunde versteckten sich mitunter oder liefen bellend umher. Letztlich konnten nur die Aufnahmen von 11 Hunden genutzt werden, bei denen das Gesicht ausreichend sichtbar war.
Mithilfe der künstlichen Intelligenz haben wir untersucht, wie sich die relative Position der Landmarks zwischen den 2 Situationen unterschied. Die Methode nennt sich geometrische Morphometrie. Auch für die Drehung des Gesichts (wenn die Kamera also nicht frontal, sondern etwas seitlich auf das Hundegesicht gerichtet war) konnte die künstliche Intelligenz kontrollieren.
Unten im Bild seht ihr die relative Veränderung der Landmarks (rot: entspannte Situation, blau: Feuerwerkssituation).

Diese Zeichen deuten auf Feuerwerksangst hin - Übereinstimmung zwischen KI und menschlichen Beobachtungen
Die Gesichtsaudrücke der Hunde unterschieden sich deutlich zwischen dem Feuerwerksabend und der Situation ohne Feuerwerke. Der wichtigste Indikator für Angst waren die Landmarks an der Ohrbasis, welche in Feuerwerkssituation nach innen gezogen waren – ein Hinweis auf zurückgerichtete Ohren. Damit deckten sich die Ergebnisse mit jenen der ethogramm-basierten Auswertung in Gähwiler et al. (2021).
Das Maul war während Feuerwerken durchschnittlich leicht geöffnet, was auf stressbedingtes Hecheln (bei einigen Individuen) hinweist. Die Form der Augen und Augenbrauen zeigten ebenfalls leichte Veränderungen. Blinzeln (ein weiterer Stressindikator laut der ethogrammbasierten Auswertung von Gähwiler et al. 2021) konnte hingegen nicht erfasst werden, da die Analyse auf einzelnen Frames („Schnappschüssen“) und nicht auf Videosequenzen basierte.

Das obige Bild stellt ein "Durchschnitts-Hundegesicht" in der Feuerwerkssituation und der entspannten Situation (anhand der Durchschnittspositionen der Landmarks) dar. Das Maul erscheint in der Feuerwerkssituation leicht geöffnet - tatsächlich hechelten einige Hunde unter Stress, andere jedoch hatten das Maul geschlossen und angespannt. Daher sieht der Durchschnitt wohl leicht geöffnet aus.
Fazit: KI kann den Menschen nicht ersetzen, aber zukünftig die Überwachung vom Wohlergehen von Hunden, etwa im Tierheim oder in der Tierklinik, erleichtern
Die Kombination aus KI-gestützter Landmarkenerkennung und geometrischer Morphometrie ermöglicht es, wiederholbar Gesichtsausdrücke den 2 unterschiedlichen emotionalen Situationen (Angst/ keine Angst) zuzuordnen.
Besonders bemerkenswert: die Analyse funktionierte bei Hunden verschiedenster Rassen (und mit dementsprechend unterschiedlichen Kopf-, Schnauzen- und Ohrformen) in ihrem Zuhause statt in einer kontrollierten Laborsituation.
Dennoch gilt: Automatisierte Methoden liefern Zahlen und Muster – die Interpretation benötigt menschliche Fachkenntnis. Trotzdem sind wir mit dieser Arbeit einen Schritt weiter in der automatisierten Emotionserkennung bei Hunden. Langfristig könnten solche Systeme zur Stressfrüherkennung im Alltag, Tierheim oder in Kliniken eingesetzt werden.
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Quellen:
Gähwiler, S., Bremhorst, A., Tóth, K., & Riemer, S. (2020). Fear expressions of dogs during New Year fireworks: a video analysis. Scientific reports, 10(1), 16035. Link
Martvel, G., & Riemer, S. (2025). Automated analysis of emotional expressions in dogs based on geometric morphometrics. Scientific Reports, 15(1), 32331. Link

Die Autorin: Ass. Prof. Stefanie Riemer, PhD, ist Assistenzprofessorin für Companion Animal Management am Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni Wien und bietet bei “HundeUni – Wissenschaft trifft Praxis” Online-Fortbildungen zu Hundeverhalten auf dem neuesten Stand der Forschung. Foto: Thomas Suchanek/ Vetmeduni




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