top of page

„Balljunkie“: Gibt es Suchtverhalten bei Hunden?

Aktualisiert: 13. Okt.

ree

Der Begriff „Balljunkie“ ist in der Hundetrainingswelt weit verbreitet. Man beschreibt damit Hunde, die übermäßig auf ihr Spielzeug fixiert sind. Vielleicht springen sie aufgeregt hin und her, zittern vor Erwartung, bellen oder winseln ununterbrochen, wenn sie warten müssen, und lassen sich kaum von ihrer Fixierung ablenken. Sie verlieren sogar das Interesse an anderen Reizen oder sozialen Interaktionen.

Doch nur weil ein Hund hochmotiviert, sehr aufgeregt oder stark auf Spielzeug fixiert ist, bedeutet das nicht zwangsläufig eine Sucht.

 


Das sagt die Wissenschaft zu Süchten beim Menschen

In der wissenschaftlichen Literatur kann eine Verhaltenssucht wie folgt definiert werden:


„eine scheinbar vergnügliche Aktivität, die wiederholt negative Konsequenzen mit sich bringt, weil die betroffene Person unfreiwillig die Fähigkeit verliert, das Verhalten zu regulieren, und dauerhaft den Drang verspürt, das Verhalten auszuführen“.


Eine echte Sucht zeigt sich besonders dann, wenn das Objekt der Begierde nicht verfügbar ist. Dann führt sie zu unbändigem Verlangen, Entzugserscheinungen und Rückfällen und kann den Alltag beeinträchtigen. Per Definition hat eine Sucht negative Langzeitfolgen. Diese wichtigen Aspekte werden im umgangssprachlichen Gebrauch oft übersehen.


Erste Studie zu spielzeugverrückten Hunden – gibt es Parallelen zu Verhaltenssüchten beim Menschen?

Wir haben erstmals eine Studie zu suchtähnlichem Verhalten bei Hunden durchgeführt. In unserem Spielmotivationstest haben wir die Hund-Halter-Teams vor etliche Aufgaben gestellt, mit dem Ziel, mögliche Anzeichen für suchtartiges Verhalten zu messen. Dafür haben wir Suchtkriterien aus der Humanmedizin für Hunde angepasst und verschiedene Auswertungsmethoden verwendet, um das Verhalten der Hunde einzuordnen. 


ree

Wir haben die Studie zwei Mal auf sozialen Medien ausgeschrieben: einmal haben wir allgemein Hunde für den Spielmotivationstest eingeladen, beim zweiten Mal haben wir gezielt nach den „Extremen“ gesucht.


Tatsächlich wurden dann in der Auswertung 33 von 105 getesteten Hunden als „high-AB dogs“ (Abkürzung für high Addictive-like Behaviour dogs) eingestuft, also als Hunde mit einer hohen Tendenz zu suchtähnlichem Verhalten.


Das heißt natürlich nicht, dass jeder dritte Haushund betroffen ist, da wir für die Studie ja schon gezielt nach sogenannten „Junkies“ gesucht haben. In unserer Folgestudie mittels Fragebogen erreichten ca. 3% der Hunde das Kritierum als „high-AB dogs“. Im Übrigen entspricht das auch in etwa dem Vorkommen von Spielsüchten bei Menschen.

 


Anzeichen für suchtähnliches Verhalten bei Hunden

Folgende Eigenschaften zeigten Hunde mit einer hohen Tendenz für suchtähnliches Verhalten (high-AB dogs):


Ignoranz gegenüber anderen Belohnungen: Hunde mit einer hohen Tendenz zu suchtähnlichem Verhalten zeigten beispielsweise kein Interesse an verfügbarem Futter, sondern versuchten beharrlich, an ein unzugängliches Spielzeug (in einer verschlossenen Box) zu gelangen. Sie blieben auf ein Spielzeug fixiert, das auf einem Regal lag, bellten, sprangen danach, selbst wenn ihre Bezugspersonen sie zu sozialem Spiel (ohne Spielzeug) einluden.


Dieser Hund hat gleich die Wahl zwischen verfügbarem Futter (im weißen Futterspielzeug) oder dem unerreichbaren Spielzeug (in der Box mit dem orangen Deckel).
Dieser Hund hat gleich die Wahl zwischen verfügbarem Futter (im weißen Futterspielzeug) oder dem unerreichbaren Spielzeug (in der Box mit dem orangen Deckel).

Dies deutet darauf hin, dass die hohe Spielmotivation mit anderen wichtigen Aktivitäten in Konflikt gerät. Die Hunde waren bereit, andere Belohnungen oder Aktivitäten aufzugeben, wenn sie auf das Spielzeug fixiert waren, selbst wenn sie es nicht erreichen konnten. Das zeigt die hohe Salienz und das starke Verlangen nach den Spielsachen.


Dieser Hund ignoriert das Futterspielzeug komplett, sondern tut alles, um an sein Spielzeug zu kommen - am Ende mit Erfolg!

Verlust der Selbstkontrolle: Wir beobachteten, wie Hunde zurückgehalten werden mussten, während die Testleiterin für den ersten Präferenztest drei Spielzeuge auslegte, weil sie wiederholt versuchten, noch vor Beginn des Tests an die Spielzeuge zu gelangen. Ein Mangel an Selbstkontrolle allein ist kein Suchtverhalten, aber ein wichtiges Merkmal.


Anhaltende Erregung: Einer der wichtigsten Subtests war die „Cool-down-Phase“, nachdem alle Futter und Spielzeuge aus dem Raum entfernt worden waren. Einige Hunde konnten sich innerhalb dieser 15 Minuten nicht entspannen. Sie liefen umher, waren fixiert auf die Tür, durch die das Spielzeug entfernt worden war oder auf die Regale, wo Spielzeug zuvor aufebewahrt wurde, oder auch auf die Menschen. Diese Hunde hatten auch nach 15 Minuten noch stark erhöhte Herzfrequenzen. Wenn Hunde also hohe Frustration und langanhaltende Erregung erleben, wenn ihre Spielsachen nicht verfügbar sind, dann könnte ihre Motivation für Spielzeug als exzessiv und maladaptiv betrachtet werden.


Besonders interessant war, dass Hunde mit einer hohen Tendenz zu suchtähnlichem Verhalten bereits zu Beginn des Tests – bevor sie überhaupt wussten, dass es um Spielzeug geht – eine erhöhte physiologische Erregung zeigten. Bereits bei der Erkundung des Testraums korrelierte der Puls der Hunde signifikant mit ihrem späteren AB-T-Score – je höher der Puls am Anfang, desto höher der Score. Und dieser Zusammenhang war am Ende in der Cool-down-Phase sogar noch stärker.

 


Zeigen „Balljunkies“ oder „Beutejunkies“ wirklich Suchtverhalten?

In unserer Studie haben wir aus der Literatur zu menschlichen Verhaltenssüchten für Hunde adaptiert. Im Verhaltenstest haben wir unter anderem folgende Eigenschaften bewertet:

  • Salienz (das Spielzeug zieht extrem die Aufmerksamkeit des Hundes auf sich, der darüber alles andere zu vergessen scheint)

  • Craving (unbändiges Verlangen, Zugang zum Spielzeug zu erhalten)

  • Verlust der Selbstkontrolle 

  • Stimmungsänderung durch das Ausüben des Verhaltens

 


ree

Tatsächlich hatten Hunde, die wir anhand unseres kontinuierlichen AB-T Scores (Abkürzung für Addictive-like Behaviour in the Test) als high-AB dogs einstuften, signifikant höhere Bewertungen für (1) Salienz, (2) Craving und (3) Verlust der Selbstkontrolle als die sogenannten low-AB dogs (Hunde mit keiner gesteigerten Tendenz für suchtähnliches Verhalten.


Lediglich die Stimmungsänderung, wenn die Hunde Zugang zum Spielzeug erhielten, war in beiden Gruppen etwa gleich. Dieses letzte Ergebnis zeigt, dass wir nicht einfach Hunde, welche gerne spielen mit weniger verspielten Hunden verglichen haben – sondern dass das Verhalten der "high-AB dogs" noch über reine Verspieltheit hinausging.

 

Ergänzend konnten wir folgende Aspekte in unserem Fragebogen abfragen und damit Rückschlüsse auf das Verhalten der Hunde im Alltag ziehen:

  • Toleranz (immer mehr Verhalten ist nötig, um den gewünschten Effekt zu erzielen)

  • Entzugserscheinungen (z.B. Reizbarkeit, wenn das Verhalten nicht ausgeführt werden kann)

  • Konflikt des Suchtverhaltens mit anderen Aktivitäten oder Individuen und

  • Rückfallrisiko nach Abstinenz


Je höher die Hunde hinsichtlich dieser Kriterien von ihren Halter:innen bewertet wurden, desto höher war auch der AB-T Score im Verhaltenstest.


ree

Diese Rassen werden am häufigsten zu sogenannten „Junkies“

Am häufigsten erreichen Hunde der Rassegruppen Schäferhunde (z.B. deutscher Schäferhund und Malinois) und Terrier hohe Werte in unserem Score für suchtähnliches Verhalten. Kein Wunder, diese Rassen sind ja auch dafür selektiert, Sequenzen des Jagdverhaltens wie Hetzen und Packen als besonders belohnend zu empfinden, und gerade bei Schäferhunden werden diese Eigenschaften ja sehr gezielt gezüchtet, da sie für den Einsatz als Arbeitshunde oft wertvoll sind. Hütehunde (wie Border Collies oder Australian Shepherds), Retriever und alle anderen Rassen zeigten weniger häufiger suchtähnliches Verhalten.


Der Anteil der Hunde verschiedener Rassegruppen, die als "high-AB dogs" eingestuft wurden. N.B: Dies lässt sich nicht auf die allgemeine Population verallgemeinern! Wir suchten gezielt Hunde, die exzessives Verhalten zeigen!
Der Anteil der Hunde verschiedener Rassegruppen, die als "high-AB dogs" eingestuft wurden. N.B: Dies lässt sich nicht auf die allgemeine Population verallgemeinern! Wir suchten gezielt Hunde, die exzessives Verhalten zeigen!

Was bedeuten diese Ergebnisse für das Verständnis von Suchtverhalten?

Für die Suchtforschung sind diese Erkenntnisse hochinteressant: Während bei Tiermodellen Süchte oft künstlich hervorgerufen werden müssen (z.B. bei Ratten), zeigen Hunde hier von sich aus suchtähnliches Verhalten. Viele Menschen spielen mit ihren Hunden, doch nur ein kleiner Teil entwickelt solche Tendenzen. Unsere bald einzureichende Folgestudie deutet darauf hin, dass dies nicht unbedingt an den Halter:innen liegt, sondern eine starke genetische Komponente hat – oft verbunden mit einer hohen Impulsivität und geringen Frustrationstoleranz. Wir untersuchen derzeit die zugrunde liegenden kognitiven Merkmale und die Parallelen zu menschlichen Süchten.


Auch für Arbeitshunde sind die Ergebnisse relevant. Eigenschaften von sogenannten „Balljunkies“ oder Beutejunkies“, etwa hohe Motivation, Fokus und Ausdauer sind im Arbeitskontext erwünscht. Doch ein „Zuviel des Guten“ kann maladaptiv werden und das Wohl des Hundes beeinträchtigen, z.B. durch anhaltende hohe Erregung, Unfähigkeit zur Ruhe zu kommen und hohe Frustration. Solche Hunde können als Haustiere schwierig sein, und auch im Arbeitskontext wäre ein Mangel an Impulskontrolle nachteilig.


Blick in die Zukunft: Ursachen und Prävention

Auch beim Menschen sind Verhaltenssüchte schwer zu definieren und zu messen. Da unsere Studie die erste ihrer Art bei Hunden ist, ist es aber noch zu früh, unser Testverfahren oder unseren Fragebogen als diagnostisches Werkzeug zu bezeichnen.


Wir haben inzwischen zu dem Thema weiter geforscht. Wenn du erinnert werden möchtest, wenn der nächste Blogartikel dazu online geht, trage dich gerne in meinen Newsletter ein.


ree

Im Folgebeitrag erfährst du 1) ob es bereits im Welpenalter Verhaltensweisen gibt, die auf ein Risiko für suchtähnliches Verhalten hinweisen, 2) wie Motivierbarkeit, Trainierbarkeit und Impulskontrolle bei Hunden mit der Tendenz zu suchtähnlichem Verhalten zusammen hängen, 3) warum Arbeitshunde überrepräsentiert sind, 4) ob die Halter:innen „schuld“ sind am exzessiven Verhalten ihres Hundes und 5) welche Verhaltensprobleme häufiger – und seltener! – bei den Hunden mit der ausgeprägtesten Spielmotivation vorkommen.

 

Praktischer Rat für Hundehalter:innen

Spiel mit Spielzeug kann eine großartige Belohnung für Hunde sein und die allermeisten Hunde spielen „nur“ gerne, ohne in suchtähnliches Verhalten abzukippen. Bei einem meiner Hunde ist der Ball die größte Belohnung, obwohl ich dies nie gezielt gefördert habe. Ich nutze diesen hohen Wert im Alltag, zum Beispiel, um ihn dafür zu belohnen, keine Wildtiere zu jagen.


Yari bleibt von selbst stehen, als er Enten sieht. Das wird von mir gelobt und er flitzt zu mir zurück. Für diese tolle Leistung bekommt er den Ball geworfen. Denn die Impulskontrolle wurde ihm nicht gerade in die Wiege gelegt.

Allerdings rate ich von repetitivem Ballwerfen ab, sowohl aus gesundheitlichen Gründen (Belastung der Gelenke durch das ständige Stoppen und Anlaufen) als auch wegen des potenziellen Risikos für suchtähnliche Tendenzen. Ich würde vorschlagen, den Fokus stattdessen auf kooperatives Spiel zu legen, wie Zerrspiele oder Suchspiele, damit das Jagen nicht der einzige Aspekt ist.


ree

Neugierig auf weitere Infos zum Thema? Erfahre mehr zu Hintergründen zur Studie und der Folgestudie, schaue dir Videos von Hunden mit einer hohen Tendenz für suchartiges Verhalten an und lerne mehr über Zusammenhänge mit Verhaltenseigenschaften (schon ab dem Welpenalter) und Verhaltensprobleme, in einem 1-stündigen Webinar-Vortrag.

 

Quelle:

Mazzini, A., Senn, K., Monteleone, F., Riemer, S., 2025. Addictive-like behavioural traits in pet dogs with extreme motivation for toy play. Sci Rep 15, 32613. Link zum Volltext

 
 
 

Kommentare


bottom of page